Gibt es bald auch in Englands Stadien wieder Stehplätze? Und dann auch in der Champions League?
Die Stimmung im Westfalenstadion startet immer auf der Südtribüne. Auf der vermutlich größten Stehplatztribüne der Welt kommen bei Ligaspielen rund 25.000 Menschen in Wallung – die Euphorie schwappt dann auf die andern Tribünen über. Und bei internationalen Spielen sitzt dort auch niemand – trotz eingebauter Schalensitze. Es sind weniger Menschen auf der Tribüne, das gemeinsame Erleben kommt wegen der doofen Sitze ein bisschen schwerer in die Gänge.
Arme Engländer
Was sollen da bloß die Fans in den Stadien der englischen Premier League sagen. Ihnen geht es bei jedem Spiel so. Per Gesetz sind alle Stadien dort Sitzplatzstadien. Die Stadionkatastrophen von Heysel und Hillsborough in den Achtzigerjahren führten landesweit zur Abschaffung der Stehplätze. Die Eintrittspreise wurden massiv angehoben. Dummerweise ist damit auch die Stimmung flöten gegangen. „Sie ist Lichtjahre von dem entfernt, was sie früher war. Man soll sich hinsetzen und angepasst sein. Man wird nicht ermutigt, zu singen oder die Mannschaft zu unterstützen“, sagt Chefredakteur Barney Chilton vom Manchester United Fan-Magazin „Red News“.
Die BVB-Fans verspotteten schon die Arsenal-Fans und sangen in der Champions League „You are only singing, when you are winning“. Komplett das Gegenteil also der eigenen Überzeugung. Denn egal in welchem Stadion und egal ob Stehplatz oder Sitzplatz (auf dem man steht) die schwarzgelbe Anhängerschaft singt immer, feuert die eigenen Kicker an und sorgt für Stimmung im Stadion. Wer einmal drüben ein Ligaspiel beobachtet hat, wird festgestellt haben, wie wenig dort los ist. Erzählungen unserer Väter über die geile Stimmung in den englischen Stadien klingen da wie altüberbrachte Sagen und Märchen.
Das Magazin Spiegel stellte vor gut einem Jahr fest: „Die berüchtigte britische Stimmung gibt es nur noch bei Spitzenspielen oder wichtigen Partien in der Champions League. Im Alltag ist es in Englands Stadien oft so leise, dass man einen Schweigeprotest vermuten könnte.“
Wofür noch Fans im Stadion haben?
Dem Beispiel England folgten die UEFA und die Fifa. Auch bei Europa- oder Weltmeisterschaften hat der Fan gefälligst zu sitzen. Dass das viele nicht tun, ist den Machern scheinbar egal und das lässt vermuten, dass der Fan im Stadion auch ein Stück weit egal ist. Schon vor Jahren stellte die BBC fest, elf der 20 Vereine der Premier League hätten in der Saison 2016/2017 im leeren Stadion spielen können und trotzdem Gewinn gemacht. Traurig!
Aber jetzt schein Bewegung in die Sache zu kommen. Der DFB (hört, hört!) bietet für Spiele der Nationalmannschaft wieder Stehplätze und günstige Tickets. Nach dem Desaster bei der WM in Russland scheint der Zuschauerzuspruch eher mau zu sein. „Für ’nen Zehner aufn Steher“ heißt es jetzt für das Freundschaftsspiel gegen Italien am 31. März in Nürnberg. Stehplatzkarten gibt es für zehn Euro – allerdings nur für Mitglieder des Fan Club Nationalmannschaft.
Hoffnung auf der Insel
Und sogar in England gibt es leise Hoffnung darauf, dass Gesetz zu verändern. Die Sitzschalen zwischen den sowieso stehenden Fans haben schließlich auch so ihre Risiken. Es passiert immer wieder, dass stehende Fans beim Torjubel über mehrere Sitzreihen fallen, sich die Arme oder Beine brechen. Sind also Sitzplätze per se sicherer? Die Diskussion belebt hat das sogenannte Safe Standing. Statt fest montierter Schalensitze könnten bis zum Bauch reichende Geländer mit Klappsitz eine Alternative sein. Manchester United hat bei den örtlichen Stellen gerade die Genehmigung beantragt, noch in dieser Saison einen Probelauf mit Stehplätzen im Old Trafford abzuhalten.
Selbst die Behörden halten Safe Standings aktuell für sicher wie sie in einer Studie feststellen. Bei Celtic Glasgow gibt es bereits seit 2016 im Celtic Park einen Stehbereich mit 2600 Plätzen. In Schottland gibt es das Gesetz auch nicht. Selbst in England gibt es „gallische Dörfer“: Das Molineux der Wolverhampton Wanderers und das neue Stadion von Tottenham Hotspur sind schon mit Safe Standings-Bereichen ausgestattet. Nur offiziell sind auch diese Arenen noch reine Sitzplatzstadien Gesetz ist schließlich Gesetz. Doch die englischen Fans dürfen hoffen, auf ein paar Stehplätze, damit auf hoffentlich wieder günstigere Tickets und endlich wieder mehr Stimmung im Stadion.
Und wenn sie mal sehen wollen, wie man so richtig macht, dann können sie ja am Samstag mal wieder im Westfalenstadion vorbeischauen. Der BVB empfängt den SC Freiburg, der gerade eine leichte Krise zu haben scheint und zuletzt 2003 in Dortmund gewinnen konnte. Da die eigene Mannschaft zuletzt stark gespielt hat, dürfte die Stimmung unter den schwarzgelben Fans wieder von den Stehplätzen auf die Sitzplätze übergreifen und es einfach eine geile Veranstaltung werden.
Andreas Römer