Fünfter in der Bundesliga, als Gruppensieger ins Champions-League-Achtelfinale und Pokalaus beim Team der Stunde VfB Stuttgart im Achtelfinale. Nicht alles war schlecht in der diesjährigen Hinrunde, aber bei weitem auch nicht alles gut. „Die Kirsche“ blickt zurück auf ein turbulentes Halbjahr nach der verpassten Meisterschaft am 20. Mai. Unser Redaktionsgespräch Teil 1:
Über die Hinrunde philosophieren Ingo Berchter, Andreas Römer und Falk-Stéphane Dezort
Dein Fazit der Hinrunde?
Andreas: Die Hinrunde war in weiten Teilen enttäuschend. So aus dem Stegreif fallen mir gerade nicht die Spiele mit berauschendem Fußball ein, in denen die Mannschaft restlos überzeugt hat. Zuhause 1:0 gegen Köln, Bremen, Wolfsburg – nicht gerade die Spitzenklubs der Liga. Gegen Heidenheim und schon wieder gegen Mainz im Westfalenstadion sowie in Bochum nur unentschieden – klingt alles nicht nach besonders viel Spaß. Gefreut habe ich mich über Siege in Freiburg und vor allem in Hoffenheim. Aber sonst? Mal ehrlich, gegen dieses Union Berlin der Hinrunde oder auch gegen die andere Borussia in der aktuellen Verfassung zuhause 4:2 zu gewinnen, muss man schon als Pflicht ansehen.
Aber die Enttäuschung kommt vor allem vom Spiel gegen die Bayern. Ich saß im Flugzeug, wartete auf den Start und konnte noch die ersten paar Minuten sehen. Und nach 09 Minuten war schon wieder einmal alles gelaufen. Die Mannschaft ergibt sich, legt sich hin und ruft “schlag mich” – das war einfach jämmerlich. So ein Auftritt tut in der Fanseele richtig weh. Um nicht falsch verstanden zu werden, gegen die Bayern kann man verlieren, aber doch nicht immer so. Kein Mumm, keine Gegenwehr und vor allem auch keine Idee. Man fragt sich ja immer, wann der Moment der Enttäuschung vom Herzensklub zu viel wird – das war so ein Tag.
Dass danach mit dem Unentschieden in Frankfurt und dem ermauerten Punkt in Leverkusen auch nicht die Sterne vom Himmel gespielt wurden – Schwamm drüber. Doch was war das zwei Mal in Stuttgart? Vom Ergebnis war es in der Liga und im Pokal gar nicht so deutlich wie auf dem Platz. Echte Chancen, eines der Spiele zu gewinnen, gab es nicht. Das muss man alles einbeziehen in ein Fazit.
Falk-Stéphane: Die Hinrunde war wie in den vergangenen Jahren mal wieder an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Es fing mit dem 2:2 gegen Heidenheim an, ging weiter mit der deutlichen Klatsche gegen die Bayern, dem schmeichelhaften 1:2 in Stuttgart und gipfelte in den beiden Remis gegen Augsburg und Mainz. Man wird aus diesem Team nicht schlau. Seit Jahren hat man das Gefühl, dass die Bundesliga nicht ausreicht, um sich zu motivieren.
Ingo: Die Leidensbereitschaft der Fans wird abverlangt wie schon lange nicht mehr. Gefühlt finde ich mich im Mittelfeld der 2. Liga Nord wieder. Du kannst jemandem, dem Du ein schönes BVB-Erlebnis schenken willst, nicht einmal einfach gegen Mainz ins Stadion schicken. Den Pokal legt man uns fast schon zu Füßen, und wir sagen „nein Danke“. Ich kann ja damit leben, wenn die Mannschaft nicht über 90 Minuten brilliert. Wenn sie über 90 Minuten kämpft! Aber das tut sie nicht. Von einem wie dem Käpt’n (Kehl) hätte ich erwartet, dass er das dem Team einpflanzen kann.
Was hat dir gefallen?
Andreas: Das muss man schon echt lange nachdenken, bis einem auf diese Frage etwas einfällt. Auf dem Platz waren es tatsächlich vor allem die letzten vier Spiele in der Champions League. Neben dem Platz war es vor allem das bei jedem Heimspiel rappelvolle Westfalenstadion. Nicht nur die eigenen Fans haben ordentlich für Stimmung gesorgt. Viele Gastmannschaften haben tolle Anhänger mitgebracht, die ihr Team angefeuert haben. Beeindruckend sind mir da die Fans von Union in Erinnerung, die auch bei 2:4 für die Eisernen ohne Pause weiter gesungen haben. Dass dabei viel zu viele der Gäste-Fans auch noch was zu lachen hatten in unserem Stadion ist dabei natürlich weniger schön.
Falk-Stéphane: Die Champions League. Entgegen aller Erwartungen ist der BVB im Achtelfinale, und das als Gruppensieger. Nach dem Angst-Fußball zum Auftakt in Paris folgten teils beeindruckende Spiele gegen Newcastle und in Mailand. Warum man das nicht in der Bundesliga zeigen kann, ist mir ein Rätsel.
Ingo: Hat mir etwas gefallen? Ok, die CL. Die hatte man nach den ersten beiden Spielen fast schon abgeschrieben, und dann holen wir beinahe souverän den Gruppensieg. Ich hoffe, wir können das Newcastle-Feeling gegen PSV wiederholen. Und der Support. Wenn Du vor dem Fernseher sitzt, bei nem Auswärtsspiel, und Du hörst unsere Leute, unsere Lieder. Das ist schon geil.
Woran liegt es, dass der BVB den Anschluss an die Tabellenspitze verloren hat?
Andreas: Küchenpsychologen haben jetzt sicher Hochkonjunktur. Da wird die nachwirkende Enttäuschung nach der verpassten Meisterschaft angeführt, da vermutet man, die Mannschaft sei kein Team oder die Spieler sind einfach mental nicht in der Lage, ihr Können konstant auf den Rasen zu bringen. Da mag von allem ein bisschen dabei sein. Spieler, die zum BVB kommen, gehören plötzlich zu einem Spitzenklub und nehmen augenscheinlich viele Gegner nicht ernst genug. Und wenn du gegen die angeblich Kleinen aus der unteren Tabellenhälfte nicht alles gibst, kannst du auch gegen die nicht gewinnen. Wenn du dann noch gegen die Bayern immer die Hose voll hast, schon bevor du Platz betrittst, kannst du halt nicht mehr vorne mitspielen.
Man muss auch klar sagen, dass die anderen deutlich besser eingekauft haben. Auch wenn es wehtut, hat Leipzig die prominenten Abgänge wie etwa Nkunku bestens mit Openda und Simmons ersetzen können. Leverkusen hat mit Boniface, Xhaka, Hofmann und Grimaldo richtig gut eingekauft und mit dem Trainer einen, der Leverkusen tatsächlich einmal ganz nach vorn bringen kann. Dortmunds Einkäufe nehmen sich da deutlich weniger spektakulär aus. Nmecha und Sabitzer können an einem guten Tag Spiele entscheiden. Beide sind aber dauernd verletzt und kommen so nicht in die Gänge. Überhaupt sollte man nicht jammern, darf aber die Verletzungen auch nicht wegdiskutieren. Und was ist eigentlich mit Haller los? Wenn der auf dem Platz steht, ist er schrecklich schlecht im Vergleich zur Vorsaison. Hat Didi Hamann recht, wenn er sagt, dass jeder Spieler, der nach Dortmund geht, schlechter wird?
Falk-Stéphane: Man hat das Gefühl, dass das Team nicht als Team auftritt. Irgendetwas liegt im Argen. Hinzu kommt, dass man es einfach nicht hinbekommt, konstant Leistung zu bringen. Bin ich jetzt ein Küchenpsychologe?
Ingo: Tja, ich weiß auch nicht. Wir haben doch einen tollen Kader: Hummels, Süle, Schlotterbeck, Can, Brandt, Füllkrug – das Gerüst der Nationalmannschaft spielt bei uns. Ah … Moment … das Gerüst der Nationalmannschaft spielt bei uns … vielleicht läuft es deshalb gerade nicht.
Was muss in der Rückserie besser werden?
Andreas: Im Prinzip reicht der Platz hier nicht aus, um alles anzuführen, was alles besser werden muss. Mir ist schleierhaft, wo man da ansetzen soll. Wenn man die Spieler vor Anpfiff beobachtet, ist das ein gegenseitiges Umarmen, Anfeuern, Abklatschen – es sieht alles nach Harmonie und Gemeinsamkeit aus. Das spürt man im Spiel dann nicht immer. Was aber auffällig ist: Es scheint keinen Plan zu geben, an den man sich hält. Hat Brandt einen guten Tag, läuft vieles. Er tummelt sich dann aber überall und macht das Spiel schnell. Hat er wie zuletzt schlechte Tage, läuft da gar nichts.
Und die taktische Ausrichtung der letzten Wochen den Ball einfach hoch nach vorn zu schlagen und Füllkrug versucht (leider versucht er nur) die Kugel zu einem Mitspieler zu bringen, das sieht nach weder gewollt noch gekonnt aus. Flanken von außen waren in den letzten Jahren nicht das Ding des BVB. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich die Verpflichtung von Füllkrug sowieso nicht verstanden. Schon das Experiment mit Modeste war krachend gescheitert und trotzdem hat man den gleichen Spielertyp wieder geholt.
Falk-Stéphane: Vieles, um nicht zu sagen alles. Es muss dringend personell verstärkt werden – und das mit Spielern, die dem eigenen Anspruch gerecht werden. Man kann halt nicht Top-Spieler abgeben und allenfalls Mittelklasse verpflichten.
Ingo: Die Mannschaft muss von der ersten Minute an wach und kampfbereit auf dem Platz stehen – und nicht wachgeschossen werden. Der Trainer muss bessere Antworten für die Situationen finden, in denen wir aggressiv angelaufen werden. Da sind wir zu oft durch eigenes Verschulden in die Bredouille geraten. Und: So wie die Bayern gegen den VfB, so hat die Borussia früher auch gespielt: Kontrolle ohne Ballbesitz, Überlegenheit durch Konter, schnelle durchgesteckte Bälle gegen die Bewegung des Gegners und überraschende Eröffnungen aus der Defensive. Hatten wir schon lange nicht mehr.
Im zweiten Teil, der am 1. Januar 2024 erscheint, befassen wir uns mit der Trainerfrage und dem Wintertransfenster.