Top Vier der Liga, in der CL ins Viertelfinale? Für mehr wird in dieser Saison für den BVB nicht mehr reichen – da sind sich die Kirsche-Redakteure einig. Auch beim Wunsch, wer im Mai neuer Deutscher Meister sein soll. Der dritte und letzte Teil unseres Redaktionsgespräch in der Winterpause.
Einen Ausblick auf die zweite Saisonhälfte geben Ingo Berchter, Falk-Stéphane Dezort und Andreas Römer
Was ist für den BVB in der Liga und in der Champions League noch drin?
Andreas: Leider wird es wie in den vergangenen zwölf Jahren nur noch darum gehen, unter die besten Vier zu kommen. Das wird schwer genug. Ob die Mannschaft noch einmal eine Rückrunde wie in der zurückliegenden Saison leisten kann, daran darf man durchaus Zweifel haben. Wichtig wird die Zeit des Afrika-Cups werden. Spitzenteams wie aktuell Stuttgart oder Leverkusen werden einige Spieler vermissen. Da könnte eine Chance liegen, ein paar Punkte gut zu machen.
Für ganz oben wird es in jedem Fall nicht reichen. Leverkusen und Bayern sind top-besetzt, und es werden vermutlich nicht beide schwächeln. Leipzig kann an einem guten Tag jeden schlagen, an einem schlechten gegen jeden verlieren. Und ob Stuttgart Guirassy im Winter halten und zusätzlich die Euphorie bewahren kann, muss man erst einmal sehen. Die kurze Winterpause muss der BVB in jedem Fall nutzen, um sich über sein Spielsystem Gedanken zu machen. Zu oft fehlen Automatismen, sieht Vieles eher zufällig aus. Insofern: Mehr als Dritter wird man nicht – wenn überhaupt.
In der Champions League wird man eher direkt rausfliegen. Das hat die Vergangenheit zu oft bewiesen. Der BVB setzt sich in einer Hammergruppe durch, um dann gegen einen vermeintlich schlagbaren Gegner sang- und klanglos die Segel zu streichen. Ja, wir wissen alle, an einem guten Tag kann der BVB tatsächlich auch Mailand schlagen oder auch andere ärgern. Blöd dabei, es müssen zwei gute Tage sein, um eine Runde weiterzukommen. Da mag ich nicht so recht dran glauben.
Falk-Stéphane: Im Pokal ist man raus, im CL-Achtelfinale gehts gegen Eindhoven. Gegen den Tabellenführer im Nachbarland Holland ist man nicht zwingend der Top-Favorit, dafür läuft deren Saison zu gut. Schafft es der BVB, sein CL-Gesicht zu zeigen, könnte man ins Viertelfinale einziehen, wo dann aber Schluss ist. In der Bundesliga hingegen muss man aufpassen, nicht ganz aus den Europapokal-Plätzen zu verschwinden. Hilfreich könnte, wenn man selbst Leistung bringt, sein, dass sowohl bei Stuttgart als auch bei Leverkusen wichtige Spieler im Januar beim Afrika-Cup sind. Und es ist fraglich, mit welcher körperlichen und auch mentalen Verfassung die nach so einem Turnier zurück in den Ligabetrieb kommen.
Ingo: Ich habe Respekt vor der holländischen Liga, aber ich halte die Runde der letzten Acht für möglich. In der Bundesliga ist der 4. Platz möglich, aber dann muss es jetzt auch laufen.
Ein kurzer Blick zurück: Wer ist eigentlich deine Überraschung der Saison bisher – im negativen wie im positiven Sinn?
Andreas: Die Überraschung war – leider im negativen Sinne – die Verpflichtung von Füllkrug. Ich hätte den niemals als Baustein im Borussen-Spiel gesehen. Der Stil in Bremen ist ein ganz anderer, und 16 Tore in einer Saison sind auch nicht gerade Ausdruck überragender Klasse. Nur mal zum Vergleich: Harry Kane hat nach 16 Spielen bereits 21 Buden gemacht. Dass damit scheinbar Sebastian Haller jeden Antrieb verloren hat, nur ein Schatten seiner selbst ist, zeigt deutlich, dass Füllkrugs Verpflichtung in mehrfacher Hinsicht falsch war.
Falk-Stéphane: Eigentlich ist es keine Überraschung, eher ein Licht am Ende des Tunnels. Die ersten Auftritte von Samuel Bamba machen Lust auf mehr, der Junge brennt. Und auch Bynoe-Gittens wird stärker – jetzt muss er noch zwingend an der Defensivleistung arbeiten. Negativ überrascht hat einmal mehr die Defensive. Immer, wenn man denkt, dass man endlich mal mehr Stabilität bekommt, geht es schief. Keine Ahnung, warum der BVB seit Jahren ständig ein Defensiv-Problem hat.
Ingo: Negativ: Brandt. Es scheint so, als bräuchte er Sanchos, Haalands, Bellinghams an seiner Seite, um zu glänzen. Positiv: Bynoe-Gittens. Er lernt sehr schnell, was den Einsatz und die Verbindung von Dribblings und Passspiel angeht. Er ist die größte Hoffnung für die nächste Saison – wenn er dann noch da ist.
Wer wird Deutscher Meister?
Andreas: Wenn schon nicht der BVB – und ich denke, davon kann man ausgehen – dann sollten es auf keinen Fall die Bayern noch einmal machen. Das wäre echt zum Kotzen. Den Leverkusenern würde ich es wünschen und zutrauen. Endlich mal eine komplette Saison gut spielen und nicht nur eine Halbserie – mit Alonso als Trainer traue ich ihnen das zu.
Falk-Stéphane: Irgendwie wäre es Bayer oder Stuttgart zu gönnen. Aber wegen des Afrika-Cups denke ich, dass am Ende die Bayern abermals die Schale hochrecken.
Ingo: Leverkusen ist professionell genug, um es endlich zu schaffen.
Wie seht Ihr die Entwicklungen im Fußball allgemein? Investor für die Bundesliga, neues Format in der Champions League, keine Aufbruchstimmung für die EM im eigenen Land – was soll man davon halten?
Andreas: Der stete Versuch noch mehr Geld rauszuholen ohne Rücksicht auf die Fans, ist der völlig falsche Weg. Ein Investor wird irgendwann seine Kohle wiedersehen wollen. Damit steigt der Druck, noch höhere Einnahmen müssen her. Mal ehrlich, wenn man sich früher mit einem Premiere-Abo ganz gut aufstellt sah, musst du heute Sky, DAZN, Amazon und RTL+ buchen, wenn du deinen Klub immer sehen willst. Auf dem Weg zum Stadion sieht man immer mehr fette SUVs von Geschäftsleuten, und irgendwann kann sich keiner Normaler mehr die Eintrittspreise leisten. Müssen Spieler so viel Geld verdienen? Besser spielen werden sie in jedem Fall damit nicht. Und wenn das Modell dann nicht so recht klappt, wie gerade die Leistungen der Borussia zeigen, geht auch die Aktie in den Keller. Vor der Pandemie war die BVB-Aktie irgendwas um die acht Euro wert, aktuell bekommst du sie für dreifuffzig.
Das neue Modell der CL soll doch nur die Großen davon abhalten, eine eigene Liga neben der UEFA zu gründen – was die Geldgeilen aus Mailand oder Madrid (“Hauptsache Italien” 🙂 ) nicht abhalten wird.
Früher war es etwas Besonderes für Deutschland zu spielen. Heute scheint es bei vielen ein lästiger Termin zwischen dem Hauptgeschäft zu sein. Dazu sind die Leistungen der deutschen Nationalmannschaft in den verganegen Jahren wirklich zum Fürchten. Wie soll da Euphorie für eine Heim-EM aufkommen? Es kommt hinzu, dass auch die irgendwie weniger wert ist als in der Vergangenheit. Wenn quasi jeder mitspielen darf, selbst die Dritten der Quali dabei sein dürfen, wird es erst ab Viertelfinale interessant. Aber es lässt eben mehr Geld scheffeln…
Falk-Stéphane: winkt resigniert ab
Ingo: Die Englandisierung der Liga scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Die Super League scheint wieder möglich, jetzt muss nur noch das 50+1 fallen, und die Zeiten der fangeprägten Bundesliga sind dahin. Und irgendwann ist soviel Geld in der Liga, dass man die Südtribünen, Ost- und Nordkurven dafür bezahlt, Stimmung zu machen statt Eintritt zu verlangen.