Die richtige Borussia schlägt die andere Borussia mit 1:0 und bleibt den Spitzenteams auf den Fersen.

Der Druck war hoch. Dreimal hintereinander hatte der BVB nur 2:2 gespielt, sogar zweimal hintereinander in der letzten Minute den Ausgleich kassiert. Dann das Topspiel am Samstagabend und zuvor hat die Konkurrenz in jedem Fall für beide Borussias gespielt. Die Bayern nur unentschieden, Leipzig und Wolfsburg trennen sich unentschieden, Freiburg und Leverkusen haben sogar beide verloren. Jetzt waren drei Punkte unbedingt nötig, um sich in der Tabelle vorn festzusetzen, den Abrutscher auf Rang galt es auszubügeln.

Blöd halt nur, dass mit Borussia Mönchengladbach der Spitzenreiter seine Visitenkarte im Westfalenstadion abgab, die einzige Mannschaft mit schon fünf Siegen in dieser Saison. Klar kamen die mit breiter Brust. Trainer Rose interessierte es auch nicht, dass seine Borussia gerade acht Niederlagen in Folge gegen den BVB zu Buche stehen hatte. Seit 2014 gab‘s für die Fohlen nichts mehr zu holen. Auch dass die Bilanz in bislang 98 Ligapartien mit 38 zu 32 Siegen für die Schwarzgelben sprach, motivierte den neuen Fohlenbändiger höchstes.

Ohne Sancho und ohne Götze

Und die BVB-Fans fragten sich, was ist die eigene Mannschaft ohne Jadon Sancho wert, der immerhin schon drei Tore erzielt und sogar sechs Tore aufgelegt hat und damit fast an der Hälfte der Borussentoren beteiligt war. Der junge Engländer stand gar nicht im Kader – Suspendiert weil zu spät. Ebenfalls überraschend nicht im Kader, Mario Götze, den viele in der Startelf erwartet hatten. Ihn hat eine Grippe flachgelegt.

Endlich wieder am Ball: Nico Schulz

Es gab dann eine eher typische Favre-Aufstellung. Überraschend war Schulz schon wieder für den Startelfeinsatz bereit und begann links hinten. Rechts musste Akanji ran, der in der Mitte von Weigl vertreten wurde. Auf den Außenbahnen nach vorn Hazard und Hakimi, der sich mehr und mehr zum Stürmer zu entwickeln scheint. Witsel und Delaney im defensiven Mittelfeld und offensiv rannten Reus und Brandt im Wechsel in die Spitze.

Von Beginn an war es ein Spiel auf Augenhöhe. Zwei technisch versierte Mannschaften drückten den Gegner wenn möglich hinten rein. Ähnliche Spielanlagen, ähnliche Fähigkeiten – das sah schon nach gutem Fußball aus. Beide Teams suchten ihre Chance, griffen früh an und pressten eng. Beide Torhüter konnten sich auszeichnen. Sommer klärte gegen Brand und lenkte einen Hummels-Kopfball an die Latte. Bürki hielt fantastisch gegen Laimer aus kurzer Distanz und zweimal gegen den frei auf ihn zulaufenden Embolo.

Der erste Fall von „Denkste“

Und jubelt das Volk und Hazard schien der Torschütze gegen seinen alten Klub zum 1:0 zu sein. Die BVB-Tormelodie ertönt, Spieler jubeln, alles stellte sich zum Anstoß um den Mittelkreis auf – da greift sich der Schiri ans Ohr! Das bedeutet nichts Gutes. Und so war es auch. Weil angeblich die Hacke von Reus fünf Spielzüge vor dem Torschuss im Abseits gewesen sein soll – sagt der Kölner Keller. Aki Watzke macht eine wegwerfende Handbewegung, die Zuschauer singen „Ihr macht unseren Sport kaputt“ und die Gladbach freuen sich einen Keks. So schnell war die vermeintliche Führung also schon wieder dahin.

Unter uns: Diese Entscheidung mag ja dem Regelwerk entsprechen – und  auch die Bayern haben mit dem großen Zeh von Robert Lewandowski Ähnliches erlebt – aber das ist doch der reine Stuss. Irgendwann kreißt der Ball fünf Minuten um den Strafraum, dann fällt ein Tor und weil fünf Minuten zuvor ein Hintern über der kalibrierten Linie war, gilt der Treffer nicht. Das kann man doch keinem Zuschauer erklären.

Doch das blieb nicht der einzige Abseitstreffer der schwarzgelben Borussia. Doch bis dahin war ein noch ein Stückchen. Das Spiel ging zunächst mit 0:0 in die Pause.

Die Gastgeber kamen frech aus der Pause und hatten mit Brandt die erste Chance, der jagte den Ball aber aus elf Meter über den Kasten. Aber die falsche Borussia blieb durchaus gefährlich, auch weil sich die BVB-Abwehr manchmal ein bisschen einlullen ließ. Den Ball auf Plea hatte zum Beispiel eine klare Handbewegung angekündigt, aber niemand hatte reagiert, nur gut dass der Franzos den Ball nicht unter Kontrolle brachte.

Das schaffte aber der BVB in der 58. Minute. Der fleißige Brand bediente Hazard, der in der Mitte auf Reus durchsteckte. Der BVB-Kapitän brachte so eben noch die Fußspitze an den Ball und spitzelte das Runde durch die Beine von Keeper Sommer. 1:0 – und diesmal gab es auch tatsächlich den Mittelanstoß.

Trainer Rose reagierte, brachte frische Kräfte und die Niederrheiner warfen alles nach vorn, setzten den BVB ordentlich unter Druck. Dann musste auch noch der bis dahin fehlerfreie Torhüter Bürki verletzt  das Feld räumen. Klare Chancen schaffte die falsche Borussia aber nicht. Herrmann drückte den Ball knapp vorbei und Zakaria traf das Außennetz. Mehr war nicht zu notieren, auch wenn die Mannschaft sich mit zahlreichen Bällen in den Strafraum und einigen Ecken einen optischen Vorteil verschaffte.

Und schon wieder „Denkste“

Genau eine Situation, wie sie der BVB mag: Schnelles Kontern und dann das Ding endlich zumachen. Doch als Brandt einen dieser Konter nach Vorlage von Reus zum womöglichen 2:0 versenkte, dudelte zwar schon wieder die Tormelodie durchs Stadion, aber der Videokeller griff schnell ein: Wieder war Reus im Abseits. Er griff zwar gar nichts Spiel ein, verstellte aber Torhüter Sommer die Sicht. Das war noch sechs Minuten zu spielen – und es kamen durch die Bürki-Verletzung noch sechs Minuten Nachspielzeit obendrauf. Oh, oh – da schwante den Schwarzgelben ja schon wieder Böse, hatte die eigene Mannschaft doch gerade in den letzten Wochen kurz vor Schluss den Sieg weggeworfen.

Doch diesmal gelang es, den Sieg über die Zeit zu bringen – der Jubel war riesig. Man mag sich gar nicht vorstellen, wenn man vier Punkte aus den Spielen in Frankfurt und Freiburg mehr geholt hätte… Spitzenreiter mit drei Punkten vor allen anderen. So hat der BVB aber den Anschluss gefunden, liegt nur einen Punkt hinter der Spitze und hat weiter alle Möglichkeiten.

Jetzt gilt aber zunächst alle Aufmerksamkeit der Aufgabe in der Champions League in Mailand. Dort zu punkten wäre tatsächlich eine ebenso wichtige Sache wie der Sieg heute.

Andreas Römer, Fotos: Christopher Neuendorf (Kirchner-Media)